Seit vier Jahren wird über das neue Gesetz für den heimischen Strommarkt verhandelt, Energieversorger wie Marktaufseher warten gebannt darauf, wie die neuen Spielregeln aussehen. Bisher wurden sie wieder und wieder vertröstet. Schon ÖVP und Grünen hatten in ihrer Regierungszeit einen ersten Entwurf für das Gesetz präsentiert, zu einer Einigung war es aber nicht mehr gekommen. Anfang Juni verkündete Kanzler Christian Stocker (ÖVP), dass die neue Koalition einen Entwurf für das Regelwerk fertig habe. In Wahrheit dauerten die Verhandlungen damals noch an.
Nun aber ist es so weit: ÖVP, SPÖ und Neos haben am Freitag das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG) in Begutachtung geschickt, laut Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP) handelt es sich dabei um "eines der größten Gesetze der Regierungsperiode". Das Gesetz bringt in einer Reihe von Bereichen auf dem Strommarkt wesentliche Neuerungen.
Künftig soll erstmals ein Sozialtarif eingeführt werden. Energieversorger müssen einem gewissen Kundenkreis günstigeren Strom anbieten. Vorgesehen sind sechs Cent netto je Kilowattstunde, und zwar bis zu einem Jahresverbrauch von 2900 Kilowattstunden. Davon sollen rund eine Viertelmillion Haushalte in Österreich profitieren, sagte SPÖ-Staatssekretärin Michaela Schmid am Freitag. Die Kosten sollen die Energieversorger übernehmen, und zwar anteilig nach ihrer Kundenzahl. Der Tarif muss jenen Haushalten angeboten werden, die von der ORF-Haushaltsabgabe befreit sind; zu dem Kreis zählen etwa Bezieher der Mindestsicherung und Sozialhilfe oder einer Mindestpension, auch Arbeitslose. Die große Frage lautet freilich: Werden alle anderen Stromkunden den Preis für den sozialen Tarif zahlen? Auf einem echten Markt, wenn Wettbewerb zwischen den Erzeugern herrscht, müsste das nicht der Fall sein. Gerade der heimische Energiemarkt wird von einigen Playern mit marktbeherrschender Stellung dominiert, wie auch die Wettbewerbsbehörde kürzlich attestiert hat.
Zu den Neuerungen gehört, dass künftig das Netznutzungsentgelt verpflichtend von Entnehmern wie von Einspeisern von Strom zu tragen ist. Damit kommt auf kleinere Einspeiser von Strom über PV-Anlagen erstmals eine Gebühr zu. DER STANDARD hatte berichtet. Vermeiden lässt sich das, indem Batteriespeicher zum Einsatz kommen. Wobei es in der Koalition offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen dazu gibt, wer in der Praxis welchen Beitrag leisten soll: Mit der Formulierung sind alle Einspeiser abgedeckt, die SPÖ denkt insbesondere auch an große Unternehmen wie die EVN oder einen Verbund, die neben kleineren Betreibern von PV-Anlagen mitzahlen sollen. Im Wirtschaftsministerium sieht man dagegen wenig Sinn dahinter, die Stromerzeuger insgesamt mit höheren Kosten zu belegen. Die Höhe des Tarifs und wer ihn bezahlt, muss die E-Control festlegen, der es im Prinzip freisteht, gewisse Erzeuger auszunehmen, etwa weil diese systemdienlicher sind als andere.
Ein großes Aufregerthema ist auch die sogenannte Spitzenkappung: Künftig wird es Energieversorgern erlaubt sein, die Menge an eingespeistem Strom zu kappen. Gedacht werde hier vor allem an die Betreiber von PV- und Windkraftanlagen, sagt der Jurist und Energiemarktexperte Florian Stangl. Bisher sei das nur möglich gewesen, wenn die Kappung vertraglich im Netzzugangsvertrag geregelt sei, was selten der Fall sei.
Daneben gebe es auch einige Schritte zur Liberalisierung des Marktes, hauptsächlich für kleinere Abnehmer und Erzeuger, erklärt der Jurist. Besonders die Neos haben sich dafür starkgemacht: "Wir haben uns um jedes Futzerl an mehr Wettbewerb im Gesetz bemüht", sagt Neos-Energiesprecherin Karin Doppelbauer. Konkret wird es künftig möglich werden, auch abseits von Energiegemeinschaften den selbst produzierten Strom an einen Nachbarn oder an ein Unternehmen mittels Direktvertrag zu verkaufen. Auf Wunsch müssen Energieunternehmen künftig eine monatliche Abrechnung anbieten. Bisher gibt es eine Abrechnung meist nur im Jahresabstand, ein monatlicher Beleg soll die Vergleichbarkeit von Kosten und damit den Wettbewerb erhöhen, so die Hoffnung. Ebenfalls neu: Jeder soll von Netzbetreiber und Energieversorger viertelstündliche Daten zum Stromverbrauch erhalten, außer man optiert raus. Aktuell muss man hineinoptieren, um diese Daten zu bekommen.
Zu einer weiteren Umstellung kommt es bei der Abrechnung der Netzentgelte: Künftig sollen diese lasten- und zeitvariabel ausgestaltet werden. Aktuell gibt es für alle Haushalte ein einheitliches Grundentgelt, dazu kommt ein einheitliches Entgelt je bezogener Kilowattstunde. Künftig soll für einen höheren Bezug in gewissen Stunden mehr bezahlt werden, die Grundgebühr, die aber aktuell 48 Euro ausmacht, wird variabel umgestaltet. Autoladen zu gewissen Uhrzeiten dürfte teurer werden, auch wer viel Strom wegen einer Wärmepumpe zieht, wird etwas mehr zahlen. Im Gegenzug würden die Entgelte je bezogener Kilowattstunde etwas sinken. Aktuell machen Netzentgelte neben Arbeitspreis und Steuern ein Drittel der Energiekosten aus. Die E-Control berechnet dabei jedes Jahr die Kosten der Netzbetreiber neu und teilt sie auf Verbraucher (und künftig auch Einspeiser) auf.
Ebenfalls neu: Geregelt werden die Voraussetzungen dafür, wann Versorger Preise erhöhen können und wann Preissenkungen an Kunden weitergegeben werden müssen.
Rund um Preisänderungen hat es in den vergangenen Jahren eine Reihe von Rechtsstreitigkeiten gegeben, viele nachträgliche Preisänderungen wurden für rechtswidrig erklärt, hier soll nun Rechtssicherheit herrschen.
Für den Gesetzesentwurf gab es am Freitag Lob und Kritik. Die IG Windkraft, die Anlagenbetreiber vertritt, kritisierte die geplante Spitzenkappung als "willkürlichen" Akt, der dafür sorgen werde, dass weniger "leistbarer Strom aus Windenergie" zur Verfügung stehen werde. Profitieren werde das "teure Gas". Die Industriellenvereinigung begrüßte dagegen den Vorschlag, unter anderem, weil Netzgebühren künftig breiter verteilt und mehr Möglichkeiten geschaffen werden sollen, große Unternehmen per Direktleitungen von Energieerzeugern zu versorgen.
Das Gesetz geht in Begutachtung, für einen Beschluss ist aber eine Zweidrittelmehrheit notwendig, Grüne oder FPÖ müssen zustimmen. (András Szigetvari, 4.7.2025)
2025-07-04T13:12:47Z